Herr Brandt, wie steht es aktuell um die digitale Transformation des deutschen Einkaufs? Wie ist der deutsche Einkauf im internationalen Vergleich digital aufgestellt?

Wird in Deutschland über Digitalisierung gesprochen, ist damit meistens die Digitalisierung der Produktion gemeint. Die Stichworte sind „Smart Factory” oder „Machine2Machine-Kommunikation”. Das ist aber zu kurz gedacht. Die Digitalisierung betrifft die gesamte Wertschöpfungskette, also auch den Vertrieb und den Einkauf. Heute können operative Einkaufsprozesse nahezu komplett digitalisiert werden, und der Einkäufer übernimmt als Prozessmanager eine deutlich strategischere Funktion.

Dennoch steht der Einkauf eher am Anfang der Digitalisierung. Allerdings ist mein Eindruck, dass die Unternehmer und die Entscheider in den Unternehmen erkannt haben, dass sich sowohl Deutschland als auch Europa in einer ganz kritischen Phase befinden. Das Thema Digitalisierung steht im Mittelpunkt, vor allem die Aspekte Innovationskraft und Innovationswille. In Sachen Innovationskraft und -geschwindigkeit kann Deutschland allerdings noch eine ganze Menge von den USA lernen.

Gibt es Branchen, die bei der Digitalisierung besonders hinterherhinken?

Zäumen wir das Pferd mal von hinten auf: Besonders erfolgreich sind derzeit produzierende Unternehmen und die Energiewirtschaft. Auch im Finanzdienstleistungs- und Versicherungsgeschäft sowie in der Verbrauchsgüterindustrie sehen wir Fortschritte. Insgesamt wird die Digitalisierung im Einkauf allerdings unterschiedlich intensiv umgesetzt: Es gibt die „Early Adaptors“, die sehr offen für neuartige Techniken sind und diese bereits im frühen Stadium ausprobieren. Dann gibt es die Gruppe, die die Entwicklungen beobachtet und noch darauf wartet, auf den Zug aufzuspringen. Denen gegenüber steht eine große Gruppe von Unternehmen, die noch gar keine Berührungspunkte mit den neuen Technologien hat.

Was sind die großen Herausforderungen bei der Digitalisierung des Einkaufs?

Die Arbeit der Einkäufer wird zunehmend strategischer, der Einkäufer immer mehr zu einem Prozessmanager. Das belegen auch Daten einer Umfrage, die wir bereits im März 2017 unter 930 Einkäufern durchgeführt haben. Damals sagten 42 Prozent der Befragten, dass ihre Aufgaben in der Beschaffung strategischer geworden seien. In Zukunft sind mehr Managerqualitäten gefordert. Der Einkauf muss mit zunehmend mehr Stakeholdern aus dem Unternehmen kooperieren. Das ist ein kritischer Faktor für den Erfolg des Einkaufs.

 

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„Eine wesentliche Voraussetzung bei der Digitalisierung generell ist die Unterstützung durch das Top-Management. Grundlegende strategische Veränderungen müssen von der Führungsetage mitgetragen werden.“

Carsten Brandt, „Wer liefert was“

Wenn ein Unternehmen seinen Einkauf digitalisieren möchte, wie geht es dann am besten vor?

Eine wesentliche Voraussetzung bei der Digitalisierung generell ist die Unterstützung durch das Top-Management. Grundlegende strategische Veränderungen müssen von der Führungsetage mitgetragen werden. Das gilt auch für die Digitalisierung des Einkaufs. Dafür ist es hilfreich, wenn zunächst eine Strategie definiert und eine klare Vision aufgezeigt wird. Das bedeutet nicht, dass die Unternehmensführung den Weg vorgeben muss, sie muss aber offen für neue Ideen sein und für den nötigen Rückhalt im gesamten Unternehmen sorgen.

Inwiefern verändert die Digitalisierung das Berufsbild des Einkäufers? Worauf müssen sich Einkäufer in Zukunft einstellen?

Das Berufsbild des Einkäufers wird sich aufgrund des strukturellen Wandels im Beschaffungswesen grundlegend verändern. Der Einkäufer von morgen wird zum strategischen Schnittstellenmanager. In unserer Studie gaben 43 Prozent der Befragten an, dass der Einkäufernachwuchs zunehmend digitaler und internationaler qualifiziert sein muss. Dennoch wird der Mensch nicht überflüssig. Strategische Partnerschaften mit Lieferanten werden an Bedeutung gewinnen und die Rolle des Einkäufers mehr in Richtung Beratung gehen, die Technologie unterstützt ihn bei der Recherche und dem Sammeln von Informationen.

Welche Rolle spielt der Mensch zukünftig überhaupt noch im Einkauf? Ist die Digitalisierung ein Jobvernichter?

Die Digitalisierung im Einkauf ist, wie in anderen Bereichen auch, kein Jobvernichter, sondern führt vielmehr zu vielfältigeren Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Das Anforderungsprofil der klassischen Einkaufsfunktion wird sich verändern. Datenabgleiche und digitale Kompetenz werden zunehmend gefordert sein und führen zu einem steigenden Bedarf an ständiger Weiterbildung.

Gerade im B2B-Bereich werden sich durch die Digitalisierung einige Herausforderungen im Einkauf ergeben. Welche sind das, und wie würden Sie den Unternehmen empfehlen, damit umzugehen?

Das Potenzial der Digitalisierung wird im Einkauf noch nicht voll ausgeschöpft. Daher sehe ich in diesem Bereich vor allem Chancen. Die verantwortlichen Einkaufsmanager und Chief Procurement Officers müssen die für ihr Unternehmen individuell passende Strategie finden, um ihre Ziele mit digitalen Ansätzen beim Prozess-, Lieferanten- und Risikomanagement noch effektiver zu unterstützen. Da es aber aktuell nur wenige Vorreiter in diesem Bereich gibt, besteht die Chance für Unternehmen, sich klare Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Ansonsten gilt im B2B wie im B2C: Um eine erfolgreiche Transformation im digitalen Umfeld zu ermöglichen, muss man schnell, pragmatisch und zielstrebig sein.

 

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In welchen Themen der Digitalisierung sehen Sie die größten Potenziale, und welche sind Ihrer Meinung nach nicht so relevant für den Einkauf?

Das größte Potenzial steckt in der Automatisierung der gesamten Supply Chain. Technologien wie Blockchain ermöglichen Smart Contract Management und dank Künstlicher Intelligenz lässt sich 360° Spend Analytics in den Einkaufsprozess integrieren. Weniger relevant sind aktuell Augmented und Virtual Reality. Das kann sich in Zukunft aber noch ändern, man denke nur daran, dass sich so komplexe Maschinen aus verschiedensten Perspektiven ansehen lassen, ohne neben der Maschine stehen zu müssen.

Was sind die häufigsten Ursachen dafür, dass die digitale Transformation scheitert?

Unklar definierte Ziele, fehlende Kompetenzen und zu wenig Ressourcen sind Gründe, die häufig genannt werden. Es vergeht außerdem kein Tag, an dem man nicht einen neuen Artikel über das Thema lesen könnte. Die Digitalisierung ist zwar in den Köpfen angekommen. Dennoch tun sich die Unternehmen bei der Umsetzung schwer. Das liegt zum einen an der allgemein sehr guten Auftragslage der deutschen Wirtschaft. Die Auftragsbücher sind voll, der Bedarf für Erneuerung wird nicht gesehen. Dabei ist es immer von Vorteil, in Zeiten des Wohlstands in Innovationen zu investieren und nicht, wenn man aufgrund von sinkenden Umsatzzahlen dazu gezwungen ist, sein Geschäftsmodell zu überdenken.