Der Preis der langen Null-Covid-Politik
Ende Januar 2020 gab es in China den ersten Lockdown. Es folgten zahlreiche weitere sowie strenge Ein- und Ausreiseregeln. Für gut drei Jahre hielt die Staatsführung eisern an diesen und weiteren Restriktionen im Rahmen ihrer Null-Covid-Strategie fest. Man könnte auch sagen: China machte den Laden dicht – mit weitreichenden internationalen Folgen. Weil viele Produktionen im Land immer wieder für längere Zeit stillstanden, ebbten Warenströme ab und Rohstofftransporte blieben aus. Das hatte Konsequenzen in aller Welt, auch in Deutschland. Zahllose hiesige Unternehmen erhielten kaum oder keinen Nachschub mehr vom größten Handelspartner der Bundesrepublik und mussten selbst schließen oder Kurzarbeit anmelden.
Nach zehn Jahren des steten wirtschaftlichen Wachstums ging 2020 in Deutschland das preisbereinigte BIP um gut fünf Prozent zurück. 2021 entspannte sich die Lage etwas und das BIP wuchs im Vergleich zum Vorjahr um rund drei Prozent. Auch in China ging es nach einem Einbruch langsam wieder aufwärts. Im Gesamtjahr 2022 entwickelten sich Im- und Exporte leicht besser: Die Einfuhren legten um 1,1 Prozent zu, die Ausfuhren um 7,0 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Insgesamt erwartet Peking rückblickend für 2022 ein Wachstum von 5,5 Prozent. Das mag auf den ersten Blick ordentlich erscheinen, doch tatsächliche wäre es der niedrigste Wert seit 30 Jahren. Und Experten sind sich nicht sicher, ob dieser überhaupt erreicht wurde. Klar ist: Die strikte Null-Covid-Strategie Chinas hat das Land und die Weltwirtschaft Unsummen gekostet.
Die Trendwende und ihre Folgen: Infektionswelle belastet Wirtschaft
Im Dezember 2022 dann die Überraschung: China beendete abrupt die bisherige Politik und hob praktisch sämtliche Vorsichtsmaßnahmen gegen Corona auf. Der plötzliche Kurswechsel traf eine in weiten Teilen ungeimpfte Bevölkerung unvorbereitet. Die Nationale Gesundheitskommission des Landes zählte zwischen dem 8. Dezember 2022 und dem 12. Januar 2023 insgesamt 59.938 tödliche Infektionen. Festgehalten wurden aber nur Fälle innerhalb medizinischer Einrichtungen. Damit ist unklar, wie viele Menschen in ihrem Zuhause oder anderswo an oder mit Covid-19 gestorben sind. Ausländische Experten befürchten, dass bis zum Frühjahr rund anderthalb Millionen Menschen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus sterben könnten.
Doch trotz der Trendwende kam es nicht zum wirtschaftlichen Aufschwung: Nach Angaben des chinesischen Zolls gingen im Dezember 2022 die Ausfuhren um 9,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zurück. Die Importe schrumpften um 7,5 Prozent. Das liegt einerseits an einer weltweit sinkenden Nachfrage, andererseits aber auch an der massiven Corona-Infektionswelle nach der aufgehobenen Null-Covid-Strategie.
Nach Ansicht von Kristalina Georgiewa, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), könnte das chinesische Wirtschaftswachstum 2022 erstmals niedriger ausgefallen sein als das der Weltwirtschaft. Und das auch wegen der Kehrtwende bei der Null-Covid-Strategie. Insgesamt erwarten Experten nur noch ein zweiprozentiges Jahreswachstum.
Das dürfte weitreichende Folgen haben: Nach den IWF-Prognosen wird 2023 wirtschaftlich betrachtet schwieriger als 2022, weil die drei großen Märkte USA, EU und China Anzeichen von Schwäche zeigen. Vor allem in China sieht Georgiewa eine starke wirtschaftliche Abkühlung kommen.
Lieferketten nach Europa erneut gefährdet
War es zunächst die Abschottung Chinas, so kann nun seine Abkehr von der Null-Covid-Strategie zu Engpässen im internationalen Warenfluss führen. Das befürchtet beispielsweise das Ifo Institut für Wirtschaftsforschung. Erste Signale dafür finden sich in einer Umfrage der Münchner Einrichtung zur Materialversorgung. Darin berichteten im Dezember 2022 50,7 Prozent der befragten Firmen von Knappheit. Im Vormonat waren es noch 59,3 Prozent. Wird es also wieder besser? Ja und nein.
„Eine Auflösung der Engpässe scheint sich nun in vielen Branchen abzuzeichnen“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo-Umfragen. „Dies wird die Konjunktur in den kommenden Monaten stützen. Abhängig von der Entwicklung der Corona-Lage in China kann es aber auch wieder zu Rückschlägen bei den Engpässen kommen.“
Ähnlich sieht es auch der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie und Handelskammer (DIHK) Martin Wansleben: „Die hohen Corona-Zahlen in China und damit verbundene Produktionsausfälle bergen jedoch das Risiko, dass der internationale Lieferverkehr wieder stärker aus dem Gleichgewicht gerät.“
Unternehmen sollten sich auf alle Eventualitäten vorbereiten und ihr Lieferanten-Management möglichst breit und agil aufstellen. Nur so lassen sich mögliche neue Nachschubprobleme in den Griff bekommen.
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