Herr Skibbe, Sie sagen, Führen ist grundsätzlich ganz einfach. Stimmt das wirklich?

Volker Skibbe: Man benötigt nur einen Werkzeugkoffer mit vier Instrumenten: Lob, Kritikgespräch, fachliches Training und persönliches Coaching. Die muss ich allerdings richtig einsetzen. 

Nehmen wir an, der Mitarbeiter arbeitet nicht, wie er soll. Was tue ich?

Es kommt immer auf sein „Wollen“, „Können“ oder „Dürfen“ an. Zunächst muss ich mich fragen, ob mein Mitarbeiter nicht will oder nicht kann. Auf das „Wollen“ meines Mitarbeiters habe ich grundsätzlich keinen Einfluss, das entscheidet er. Ich kann natürlich durch Belohnen, Bestechen oder Bedrohen Einfluss nehmen. Aber ich kann ihn nicht intrinsisch motivieren. „Können“ ist ein Bereich, der beide betrifft. Der Mitarbeiter bringt einen Teil mit, aber ich als Führungskraft bin hier genauso gefragt, ihn weiterzubringen. Auf das „Dürfen“ habe ich ganz viel Einfluss, denn ich setze die Grenzen, was er darf und was nicht. Das ist das Modell: keinen Einfluss, wenig oder ganz viel. 

Kommen nun die Instrumente zum Einsatz?

Genau. Ich kann den Mitarbeiter zum Beispiel loben. Das ist manchen Führungskräften fremd. Lob ist Dank und Bestätigung gleichermaßen. Die Gefahr ist, dass die Führungskraft das Lob manipulativ einsetzt. Wenn sie merkt, er will nicht, dann lobt sie ihn und seine Fähigkeiten. Damit wird dieses scharfe Führungsinstrument schnell stumpf. Dieses Lob ist nicht ehrlich, das merkt der Mitarbeiter schnell. 

Dient Lob nicht der Motivation?

Nein, Lob ist kein Instrument, um die Motivation zu steigern. Ich müsste motivieren, weil er demotiviert ist. Dann aber bräuchte er ein persönliches Coaching, um herauszufinden, warum er demotiviert ist. Lob steht für Dank und Anerkennung. 

Wie funktioniert das persönliche Coaching?

Es dient grundsätzlich dazu, die Mitarbeiter kennenzulernen, um Vertrauen aufzubauen. Viele Chefs meinen, ihre Mitarbeiter zu kennen, aber sie wissen wenig über sie. Dabei ist es aus meiner Sicht das wichtigste Instrument überhaupt, es wird aber am wenigsten angewandt. Die Führungskraft müsste sich dazu auch öffnen, und das ist vielen unangenehm. 

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Viele Chefs meinen, ihre Mitarbeiter zu kennen, aber sie wissen zu wenig über sie.

Geht es auch ohne?

Ich nenne es „Führen auf der hellen oder auf der dunklen Seite der Macht“. Kennenlernen und Verstehenwollen sind anstrengend, auf lange Sicht aber erfolgreich. Eine Führungskraft der dunklen Seite der Macht scheint zunächst effizienter. Sie manipuliert, droht, besticht – und das ist auch erfolgreich. Aber wer möchte schon in Darth Vaders Raumschiff arbeiten? Auf der hellen Seite der Jedi-Ritter hingegen arbeiten alle freiwillig. 

Wenn ich nun aber herausgefunden habe, dass der Mitarbeiter einfach zu viele Fehler macht …

Fehler sind da, um gemacht zu werden. Jeder Mitarbeiter möchte grundsätzlich gut arbeiten. Deshalb hat beispielsweise eine Frage wie: „Was machst du da wieder für einen Mist?“ nichts mit Führung zu tun. 

Wie soll ich mich dann verhalten?

Ihn fragen, ob er den Fehler bemerkt hat. Ich muss also erst einmal herausfinden, ob es überhaupt ein Fehler war. Ich befinde mich ja gar nicht in seiner Welt. Behauptet er, 4 - 2 = 6, denken Sie vermutlich, er spinnt. Knicken Sie aber mal von einem Zettel mit vier Ecken zwei davon um, wie viel haben Sie dann? Richtig: sechs. Ich will sagen, es kommt immer auf die Sichtweise an. Kritik wäre hier völlig unangebracht. Man könnte sagen, eine gute Führungskraft kritisiert nicht. 


Das Kritikgespräch steht aber auch auf Ihrer Liste der Führungsinstrumente.

Richtig, ein solches Gespräch führe ich aber nur, wenn ich merke, der Mitarbeiter will nicht, er verweigert mir Leistung. Das hat nichts mehr mit dem „Können“ zu tun. Ich habe keine Möglichkeit mehr, ihn zu führen, denn er „will“ nicht mehr. Das ist die letzte Ausfahrt vor der Kündigung und endet oft mit einer Abmahnung. 

Wenn gute Führung so einfach ist, wieso scheitern viele, oder anders herum, wieso denken viele Mitarbeiter, sie hätten einen schlechten Chef?

Es wird häufig nur über Zahlen und nicht über Menschen geredet. Andererseits hängt es auch mit der persönlichen Prägung zusammen. Wenn ich selbst mit solchen „Wenn-du-nicht-dann“-Drohungen groß geworden bin, projiziere ich sie auch auf meine Mitarbeiter. Wir sind wieder auf der dunklen Seite der Macht. Es funktioniert auch, und unter Zeitdruck ist es einfacher, mit Lob zu bestechen oder zu drohen. 

Kann jeder Führung lernen?

Zu 90 Prozent ist alles lernbar. Auf die richtige Einstellung, das „Wollen“, kommt es allerdings an. Je nachdem, wie talentiert man ist, wie oft man bewusst führt, desto besser kann man werden. Wichtig ist vor allem, den Menschen Interesse entgegenzubringen. 

Wie erkenne ich die Stärken und Schwächen jedes Einzelnen?

Fragen Sie! Fragen Sie den Mitarbeiter, was gut und was nicht so gut läuft. Und da sind wir wieder beim persönlichen Coaching als wichtigstem Führungsinstrument. Denn das ist auch Aufgabe einer Führungskraft: Sieh, was deine Leute gut machen, entdecke ihre Talente und fördere sie!

Herr Skibbe, wir bedanken uns herzlich für das Interview!

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