Kleineren Betrieben erscheint der Begriff der Nachhaltigkeit stellenweise noch etwas nebulös. Wie würden Sie den Begriff definieren? Welche Aspekte muss ein Unternehmen erfüllen, um wirklich „nachhaltig“ zu sein? 

Ein wirklich nachhaltiges Unternehmen muss seine gesamten Abläufe so ausrichten, dass der geschäftliche Zweck nicht auf Kosten von Mensch und Natur geht. Die ökonomischen Prozesse müssen so organisiert werden, dass die ökologische und soziale Dimension berücksichtigt wird und niemand Schaden nimmt. Dabei kann man natürlich mehr oder weniger nachhaltig handeln. Die absolute Nachhaltigkeit ist dabei aber sehr schwer zu erreichen.

Ist Nachhaltigkeit „messbar“ und damit auch für Außenstehende objektiv zu bewerten? 

Am besten kann man nachhaltiges Handeln sicherlich messen, indem man den Blick auf bestimmte Kennzahlen, sogenannte KPI –  Key Performance Indicators – lenkt. Nimmt ein Unternehmen sich etwa vor, einen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels zu leisten, dann gilt es, sich zunächst den eigenen Stromverbrauch und die Emissionen – beispielsweise des unternehmenseigenen Fuhrparks – anzuschauen. Die hier ermittelten Emissionen können durch geeignete Maßnahmen im Anschluss gezielt reduziert werden. Durch eine jährliche Messung kann der erreichte Grad der Nachhaltigkeit auf diese Weise ganz einfach abgelesen werden. Eine weitere, gerade für Mittelständler einschlägige Kennzahl, die es zu betrachten lohnt, ist der Materialverbrauch für die Produktion bestimmter Güter.

Es gibt eine ganze Reihe von Zertifikaten, die für verschiedene nachhaltige Aspekte der Unternehmensführung erworben werden können. So existieren etwa Zertifikate für nachhaltiges Holz. Ein Möbelhersteller könnte sich beispielsweise zum Ziel setzen, am Ende des Jahres 20 Prozent der produzierten Möbelstücke mit einem entsprechenden Zertifikat auszuzeichnen.

Wer ein Unternehmen nachhaltig führt, möchte verständlicherweise auch imagetechnisch davon profitieren. Wie können KMU ihr nachhaltiges Engagement richtig präsentieren? 

Ein gutes Instrument zur Verbesserung des Images sind besagte Zertifikate. Diese sind insbesondere dazu geeignet, schlaglichtartig bestimmte Dinge zu verdeutlichen, die sich mit dem betreffenden Zertifikat verbinden. Dabei ist natürlich eine hohe Glaubhaftigkeit der Zertifikate ausschlaggebend. Während das FSC-Siegel beispielsweise ein vertrauenswürdiges Zertifikat für nachhaltige Holzwirtschaft ist, steht das Label „Cotton made in Africa“ für eine Initiative, die Baumwollkleinbauern in Afrika unterstützt. Aber auch der von der Bundesregierung ins Leben gerufene „Blaue Engel“ ist ein Umweltzeichen mit großer repräsentativer Wirkung.

Nachhaltige Kommunikation ist dabei gar nicht so einfach, da es schnell passieren kann, dass einem Unternehmen „Greenwashing“ vorgeworfen wird. Eine transparente Kommunikation zum Kunden, inklusive eines Umweltberichts, ist meine Empfehlung, um sich als glaubwürdiger Akteur zu präsentieren und ein authentisches Image aufzubauen.

Dazu gibt es die Möglichkeit, sich mit Leuchtturmprojekten zu engagieren, die für Kunden einen ganz realen emotionalen oder praktischen Wert haben – beispielsweise in Zusammenarbeit mit einer Nichtregierungsorganisation (NGO). Das kann auch in Form einer Spende geschehen, die beim Kauf eines Produkts einer bestimmten NGO zugute kommt. Aus Marketingperspektive war beispielsweise die Kampagne von Krombacher zugunsten des Regenwalds ein toller Erfolg für das Unternehmen, aber auch für den WWF, der das Vorhaben mit Krombacher initiiert hat.

Quotation mark

„Eine transparente Kommunikation zum Kunden, inklusive eines Umweltberichts,
ist meine Empfehlung.“

Dr. Johannes Merck

Nachhaltigkeit ist eines dieser Schlagwörter, das sich viele Unternehmen gerne auf die Fahnen schreiben. Was ist Ihre Einschätzung: Sind deutsche Firmen in puncto Nachhaltigkeit gut aufgestellt oder besteht massives Verbesserungspotenzial? 

Ich denke, dass hier noch viel Potenzial sitzt. Die Aufmerksamkeit der letzten Jahre hat sich natürlich in erster Linie auf die großen Konzerne gerichtet, aber bei manchen mittelständischen Markenunternehmen wie z. B. Ritter Sport sieht man schon sehr weit entwickelte Konzepte in Sachen Nachhaltigkeit, die auch beispielgebend für große Unternehmen sein können. Dem Mittelstand stehen hier viele Optionen offen, weil er häufig in einem nicht ganz so breiten Massenmarkt agiert und seine Zielgruppe im Bereich Nachhaltigkeit viel besser ansprechen kann. Das machen sich schon heute einige Firmen zunutze.

Welche Gründe würden Sie pro Nachhaltigkeit ins Feld führen, um finanzielle Bedenken zu zerstreuen? 

Im Grunde sichert ein Betrieb durch nachhaltiges Handeln sein eigenes Geschäftsmodell ab. Viele Faktoren – wie der sorgfältige Umgang mit Rohstoffen, die nachhaltige Organisation von Prozessen, geringe CO2-Emissionen und damit verbunden auch die Motivation der eigenen Mitarbeiter – sind im Kern wertschöpfend. Zwar klingelt es nicht unmittelbar in der Kasse – es gibt Unternehmen aber einen Wert, der das Management motivieren sollte, in das Thema Nachhaltigkeit einzusteigen und konkrete Maßnahmen umzusetzen. Eine Positionierung am Markt kann so durchaus auch verbessert werden, weil sich heutige Kunden von der Umweltverträglichkeit eines Produkts mehr und mehr beeinflussen lassen. Zusammengefasst: Es gibt Potenziale bei der Kostensenkung, bei der Erschließung neuer Märkte und vor allem auch bei der Kunden- und Mitarbeiterbindung. Außerdem spielt das Thema eine zunehmende Rolle beim sogenannten Employer Branding, es steigt also die Attraktivität als Arbeitgeber. All dies zusammen sollte jeden Unternehmer dazu bringen, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit aktiv auseinanderzusetzen.  

 

Welchen Ratschlag würden Sie Geschäftsführern von KMU, die nachhaltiger werden möchten, mit auf den Weg geben?

Unternehmer sind gut damit beraten, sich das eigene Geschäftsmodell genauer anzuschauen und Felder mit wirklichem Veränderungspotenzial zu identifizieren. Sprich: Wo kann ich einen Hebel ansetzen und so einen effektiven Beitrag leisten? Wo verbrauche ich besonders viel Energie? Wo ist der Wasserverbrauch sehr hoch? Wo werden extrem viele Ressourcen eingesetzt? Für konkrete Initiativen bieten sich zunächst insbesondere die eigenen Standorte an, denn hier kann die Geschäftsführung gemeinsam mit den Mitarbeitern Projekte zu mehr Nachhaltigkeit auf den Weg bringen – beispielsweise die Erhöhung der Biodiversität, Recycling- oder Energiesparmaßnahmen. Es kann aber durchaus auch ein Projekt sein, das gemeinsam mit einem Lieferanten initiiert wird, um die Prozesskette zu verbessern.

Wie sehen Sie generell die Rolle des Mittelstands im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeitsdebatte?

Das Thema Nachhaltigkeit passt meines Erachtens gut zum Mittelstand, der ja stark personengeprägt ist. Der Unternehmenschef ist häufig auch noch der Eigentümer der Firma und kein Angestellter. Er hat Spielräume, Entscheidungen zu fällen, die nicht unmittelbar geschäftsrelevant, langfristig aber für uns alle von enormem Wert sind. Ich glaube daher, dass der Mittelstand eine zentrale Rolle in der Nachhaltigkeitsdebatte haben kann, die bislang noch nicht voll entwickelt worden ist.

Herr Dr. Merck, vielen Dank für das Gespräch und Ihre Zeit.