Lieferketten leiden stark unter der Inflation
Vielen Unternehmen bereitet die Umsetzung des Lieferkettengesetzes in Deutschland große Schwierigkeiten. Die Regelung ist seit Anfang 2023 in Kraft und soll für mehr ökologische Nachhaltigkeit sowie die stärkere Einhaltung von Menschenrechten entlang der Supply Chains sorgen. Doch nach gut einem Jahr zeigt sich, dass diese Ziele in der Praxis häufig verfehlt werden.
Das belegt unter anderem eine im September 2023 veröffentlichte Studie von Ivalua. Der französische Anbieter von Cloud-basierten Spend-Management-Lösungen ließ dazu insgesamt 850 Beschaffungsleiter in Großbritannien, USA, Deutschland, Frankreich, Schweden, Niederlande und Italien befragen.
Dabei zeigte sich, dass erst gut ein Fünftel (22 Prozent) der Unternehmen das deutsche Lieferkettengesetz vollständig umgesetzt hat. Fast die Hälfte (47 Prozent) ist mit dessen Realisierung beschäftigt. Und 17 Prozent stecken noch in der Planung.
Dahinter stehen offenbar grundsätzliche, aktuelle Probleme: Annähernd alle konsultierten Beschaffungsleiter (89 Prozent) beklagten in der Studie, dass ihre Lieferketten während der bis dato vergangenen zwölf Monate unterbrochen worden sind. Als hauptsächlichen Grund nannten sie die starke Inflation der jüngsten Zeit. Die Teuerung behindere sowohl die Verbesserung der Nachhaltigkeit der Lieferketten (66 Prozent) als auch die Erreichung der Arbeitsstandards (62 Prozent).
Der Druck durch höhere Preise in Beschaffung und Einkauf zeigt gemäß der Ivalua-Erhebung weitere Konsequenzen:
- Wegen gestiegener Kosten arbeiten 55 Prozent der Unternehmen mit günstigeren und nicht mit umweltfreundlich agierenden Lieferanten zusammen.
- Die Krisen und Unsicherheiten auf den globalen Märkten brachten 39 Prozent dazu, ihre Lieferketten auf mehr lokale Anbieter umzustellen. 43 Prozent wollen es ihnen nachtun.
- Um inflationsbedingte, finanzielle Nachteile auszugleichen, greifen 43 Prozent auf Kostensenkungen zurück, erhöhen 42 Prozent die betriebliche Effizienz und achten 30 Prozent bei der Lieferantenauswahl stärker auf die Preise.
- Unter den Sanktionen gegen Russland wegen des Ukrainekriegs leiden deutsche Unternehmen besonders stark. 64 Prozent von ihnen berichten von spürbaren Auswirkungen. In Italien tun dies 42 Prozent, in Frankreich 55 Prozent und in den Niederlanden nur 16 Prozent.
Angesichts dieser Umstände und Maßnahmen wundert es nicht, dass es bei der Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetzes erheblichen Nachholbedarf gibt.
ESG-Richtlinien geraten aus dem Fokus
Eng mit dem Lieferkettengesetz verbunden ist der Themenkomplex der internationalen ESG (Environmental, Social, Corporate Governance)-Richtlinien in der Unternehmensstrategie, die ebenfalls für mehr Nachhaltigkeit sorgen sollen. Und auch hier bremsen globale Krisen und Preissteigerungen ein Vorankommen.
„Die Inflation verhindert weitere Fortschritte im ESG-Bereich. Wenn die Unternehmen Kosten senken, um dem Sturm der Inflation zu trotzen, bleiben der Umweltschutz und der Schutz vor moderner Sklaverei auf der Strecke. Dadurch laufen die Unternehmen Gefahr, ihre Netto-Null-Ziele zu verfehlen, Greenwashing zu betreiben und die regulatorischen ESG-Anforderungen nicht mehr zu erfüllen", kommentiert Alex Saric, Experte für Smart Procurement bei Ivalua.
Und das, obwohl viele B2B-Unternehmen von der Relevanz einer ganzheitlichen Nachhaltigkeit überzeugt sind, wie beispielsweise im Juni 2023 das B2Best Barometer der Community-Plattform ECC Köln und Creditreform ergab.
Für 81 Prozent der dafür Befragten aus dem B2B-Sektor ist die Einhaltung der ESG-Kriterien ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. Doch 65 Prozent der Unternehmen stehen dabei nach eigenen Angaben noch am Anfang.
Das hat nicht nur wirtschaftliche Gründe, wie Dr. Kai Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln und Gründer des ECC Köln kommentiert: „Unterstützungsbedarf besteht bei der Beschaffung von Informationen zu rechtlichen Anforderungen, hinsichtlich einer Einschätzung des eigenen Unternehmens und potenzieller Geschäftspartner sowie vor allem bei der praktischen Umsetzung von Maßnahmen.“
„Lösung mithilfe von Technologie“
Um den Anforderungen des Lieferkettengesetzes – und damit letztlich auch denen der ESG-Richtlinien – zu entsprechen, sehen sich viele Unternehmen derzeit nicht gut genug aufgestellt. Dieser Meinung sind laut der Ivalua-Umfrage 55 Prozent der Führungskräfte im Beschaffungswesen. Die Hälfte von ihnen würde das Problem gern verantwortlich in die Hand nehmen, doch etwa ein Drittel (31 Prozent) vermisst hier die notwendige Unterstützung seitens ihrer Organisation.
Dabei liege in der Beschaffung durchaus ein Schlüssel, um den Auswirkungen der Inflation zu begegnen, sagt Alex Saric von Ivalua: „Mithilfe von Technologie können die Beschaffungsteams die Visibilität über die Beschaffungskette und die Zusammenarbeit verbessern, um gemeinsam mit den Lieferanten zur Identifizierung von Chancen für langfristige Kosteneinsparungen beizutragen. Zum Beispiel können frühe Zahlungstermine oder die Nutzung von Einkaufsvorteilen dazu beitragen, die Auswirkungen der Inflation zu dämpfen, indem sie dem Einkäufer Rabatte sichern und gleichzeitig das Risiko für den Lieferanten verringern. Dies hilft den Unternehmen, starke Lieferantenbeziehungen zu schaffen, sodass sie weiterhin bei ESG-Initiativen zusammenarbeiten können, ohne die Beziehungen durch den Fokus auf Kosteneinsparungen zu opfern.“