Dr. Hafner, Google, Apple und Co. mischen sich in den Automarkt ein. Zum Beispiel will Google mit Ford selbstfahrende Autos bauen – wie gehen Sie damit um?
Michael E. Hafner: Was die technologische Machbarkeit des autonomen Fahrens betrifft, hat Google einen bemerkenswerten technischen Beitrag geleistet und das Thema in die öffentliche Wahrnehmung gebracht. Ein Problem sehe ich also überhaupt nicht.
Gibt es rechtliche Hürden oder Unklarheiten?
Ja, die gibt es, was aber vollkommen normal ist. Es kommt fast immer zuerst eine Innovation auf den Markt und danach folgt die rechtliche Regelung. Die StVO und der Führerschein kamen natürlich auch erst nach der Erfindung des Automobils.
Was das autonome Fahren angeht, gibt es zum Beispiel die UN Vehicle Regulation 79, die die Lenkanlagen beschreibt. Demnach dürfen große Lenkwinkel nicht automatisch gestellt werden, wenn man schneller als 10 km/h unterwegs ist. Mit den Behörden führen wir aber gute Gespräche und arbeiten immer am selben Ziel, nämlich diese Hürden sicher zu überwinden.
Wann wird die Technik so weit sein, dass ein Auto komplett selbst fahren kann?
Wir haben ja heute schon sehr viele teilautomatisierte Fahrfunktionen auf der Straße, in denen das Auto selbst fährt, was vielen Leuten gar nicht bewusst ist: Im Stau oder beim Einparken kann unsere neue E-Klasse schon selbst agieren, wenn sie vom Fahrer überwacht wird. Wir erwarten etwa ab dem Jahr 2020 zum Beispiel, längere Strecken auf der Autobahn automatisiert fahren zu können. Jede beliebige Strecke bei jedem beliebigen Wetter autonom zu fahren, dauert etwas länger.
Können Sie sich vorstellen, dass eigenständig fahrende Autos und Nutzfahrzeuge in Zukunft auch in Dienstleistung, Transport und Logistik eingesetzt werden?
Absolut, schauen Sie sich nur einmal unsere Studie "Future Truck" an oder den Mercedes-Benz Actros mit Highway Pilot, der als erster Serien-Lkw teilautomatisiert auf der Autobahn gefahren ist. Zuvor haben wir in den USA die Straßenzulassung für den autonom fahrenden Freightliner Inspiration Truck bekommen. Wir können uns das also sehr gut vorstellen und arbeiten daran, diese Vorstellung auch in die Wirklichkeit umzusetzen.
Wie wichtig ist das Projekt "Autonomes Fahren" für Mercedes Benz? Können Sie uns einen groben Überblick zum Stand der Entwicklungen in diesem Bereich geben?
Unsere teilautomatisierten Systeme sind heute diejenigen mit der höchsten Verfügbarkeit und dem größten Komfort für den Fahrer am Markt. Unsere neue E-Klasse setzt hier noch einmal neue Standards, indem sie als erstes Serienfahrzeug eine Lizenz für autonome Testfahrten in Nevada erhalten hat. Wenn Sie bedenken, dass autonomes Fahren mehr Zeit für den Fahrer in seinem privaten Raum bietet, werden Sie schnell merken, dass dies der Luxus der Zukunft ist. Wie das konkret aussehen könnte, haben wir in unserem Forschungsfahrzeug F 015 mit aller Konsequenz gezeigt.
Glauben Sie, dass durch selbstfahrende Autos das Fahrerlebnis selbst mehr in den Hintergrund treten wird? Spielen dann vielleicht ganz andere Faktoren eine Rolle?
Für uns steht fest, dass wir das Lenkrad nicht aus einem Mercedes verbannen wollen. Die Entscheidung, ob manuell oder autonom gefahren werden soll, möchten wir dem Fahrer überlassen. Das Fahrerlebnis wird seine Bedeutung behalten, nur ist es im Stau oder auf monotonen Strecken eben kein schönes Erlebnis mehr, sodass der Mercedes-Fahrer hier Unterstützung von seinem Fahrzeug bekommt, wenn er möchte.
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Gibt es das Auto, wie wir es heute kennen, in 20 Jahren noch? Wird sich durch selbstfahrende Autos nicht das gesamte Pkw-Konzept verändern? Wenn der Straßenverkehr in den Hintergrund rückt, wird dann das Auto zum zweiten Wohnzimmer, in dem man liest, schläft oder telefoniert?
Bisher wird ein Auto ja rund um die Fahraufgabe des Fahrers herum konstruiert. Wenn diese nicht mehr notwendig ist, ergeben sich viele neue Freiheitsgrade. In unserem Forschungsfahrzeug F 015 besteht zum Beispiel die Möglichkeit, die Vordersitze nach hinten zu drehen, um sich mit seinen Mitfahrern unterhalten zu können.
Welche Rolle spielt Energie-Effizienz beim Projekt "Autonomes Fahren"?
Die Kombination unserer Fahrassistenzsysteme nennen wir "INTELLIGENT DRIVE", weil die clevere Kombination von Sensoren, Aktuatorik und Lokalisierung eine Vielzahl von teilautomatisierten Fahrfunktionen ermöglicht. Dies macht das Auto also zum mitdenkenden, vorausschauenden Partner – neben den Bereichen Sicherheit, Komfort und Infotainment eben auch in puncto Verbrauchseffizienz. So zeigt beispielsweise unsere intelligente Betriebs- und Fahrstrategie für Hybridfahrzeuge, was durch intelligente Kommunikation des Fahrzeugs mit seinem Umfeld alles möglich ist. Sie berücksichtigt den Streckenverlauf und die Radarinformation für die Antriebssteuerung. Und zwar mit der Zielsetzung, einen optimalen Einsatz der verfügbaren Energie entlang der gewählten Route zu gewährleisten sowie das maximale Rekuperationspotenzial auszuschöpfen. Zudem nutzt sie die Radarinformation, um den optimalen Gang für die individuelle Fahrsituation zu wählen.
Leben wir dann in einer Welt fast ohne Verkehrsunfälle?
Unfallfreies Fahren ist nicht erst seit kurzem eine verfolgenswerte Vision. Die Gesetze der Physik kann zwar selbst der beste Ingenieur nicht außer Kraft setzen, aber es ist schon davon auszugehen, dass die Anzahl der Unfälle noch signifikant zurückgehen wird. Dies setzt allerdings voraus, dass die autonomen Systeme mindestens so gut fahren wie der menschliche Fahrer. Daran arbeiten wir noch.
Was bedeutet die Automatisierung für den Autobaustandort Deutschland?
Für uns als Erfinder des Automobils bedeutet die Automatisierung, dass wir das Auto noch einmal neu erfinden können, genauso wie wir es schon oft getan haben: Vergleichen Sie doch einmal unsere neue E-Klasse mit dem Benz Patent Motorwagen. Wir freuen uns auf die Arbeit, die noch vor uns liegt.
Gibt es eine Verbindung zwischen autonomem Fahren und anderen technischen Entwicklungen, wie beispielsweise alternativen Antriebsarten?
Eine zwingende Verbindung sehe ich nicht. Die Entwicklungen müssen jeweils unabhängig voneinander funktionieren können. In der Kombination jedoch zeigen die Innovationen, dass die besten Zeiten des Autos noch vor uns liegen.
Herr Dr. Hafner, haben Sie vielen Dank für das Interview.