Einer, der weiß, wie das geht, ist Wilhelm Keienburg. Wir haben mit dem Geschäftsführer der BME Akademie, der eigenständigen Bildungseinrichtung des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), über Lieferantenbewertung im Einkauf gesprochen.
Herr Keienburg, welchen Stellenwert hat die Lieferantenbewertung für Sie im Einkauf?
Die zahlreichen Risiken im internationalen Umfeld fordern Einkauf, Supply Chain Management und Logistik zunehmend heraus. Wachsender Protektionismus und daraus resultierende Handelskonflikte sowie die ungeklärte Brexit-Frage sind Sand im Getriebe der globalen Lieferketten. Die geopolitischen Störfeuer verunsichern die Märkte und werden immer mehr zu einer Belastung der Weltwirtschaft.
Deshalb ist es für den Einkauf das Gebot der Stunde, sein Risikomanagement permanent zu überprüfen. Dazu gehört auch, für ein gut funktionierendes und flexibles Lieferantennetzwerk zu sorgen. Der kontinuierlichen Lieferantenbewertung kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Denn sie trägt dazu bei, die von Globalisierung und Digitalisierung ausgehenden Geschäftspotenziale heben zu können.
Zudem schafft die regelmäßige Lieferantenbewertung durch den Einkauf die Basis für eine enge Verflechtung von Procurement und Supplier. Geschieht dies nicht oder wird es vernachlässigt, liegen entscheidende Wertschöpfungspotenziale brach.
Was sind heutzutage die größten Risiken im Lieferantenmanagement?
Die Zahl politischer Krisen wächst stetig an – und das rund um den Globus. Das hat zur Folge, dass die ohnehin schon fragilen internationalen Lieferketten einem permanenten Stresstest unterliegen. Die Gefahr stockender oder sogar reißender Supply Chains nimmt zu. Der Einkauf kann diesen Störfaktoren am besten vorbeugen, wenn er sein Lieferantennetzwerk permanent auf mögliche Schwachstellen überprüft.
Der Einkauf ist gut beraten, insbesondere in Krisenregionen die Strategie des Double Sourcing anzuwenden. Fällt kurzfristig ein Lieferant aus, kann das Procurement relativ schnell einen alternativen Supplier rekrutieren. Katastrophen wie Fukushima oder immer wieder auftretende Erdbeben zeigen, dass ein Plan B für den Einkauf von geradezu existenzieller Bedeutung ist.
Wie erfolgreich der Einkauf sein Lieferantenmanagement organisiert, hängt auch davon ab, wie intensiv er dessen Digitalisierung vorantreibt. Bei der digitalen Transformation aller Glieder der Wertschöpfungs- und Lieferketten spielen die Lieferanten eine wichtige Rolle. Wer Höchstleistungen von seinen Lieferanten erwartet, muss effizient in den eigenen Prozessen sein. Dazu gehört auch der Einsatz digitaler Systemlösungen, die insbesondere die Leistungsfähigkeit der Lieferanten deutlich steigern sollen.
Gelingt dies dem Einkauf nicht, drohen massive Wettbewerbsnachteile. Insofern ist das industrielle Internet der Dinge Chance und Risiko für die Weiterentwicklung des vom Einkauf zu forcierenden Supplier Relationship Managements (SRM).
Wie kompliziert ist eine Lieferantenbewertung? Können kleinere Unternehmen dafür überhaupt die Ressourcen freimachen?
Es gibt unterschiedliche Methoden und Vorgehensweisen zur Bewertung von Lieferanten. Diese unterscheiden sich unter anderem auch nach dem jeweiligen Schwierigkeitsgrad. Der Einkäufer kann aus einer Vielzahl von Bewertungsverfahren wählen, die mehr oder weniger alle zum Ziel führen. Deshalb sollten insbesondere Klein- und Mittelunternehmen keine Scheu davor haben.
Andererseits ist die Lieferantenbewertung keine Aufgabe, die im Vorbeigehen erledigt werden kann. Nur ein systematischer Prozess des Beobachtens, Messens und Bewertens erlaubt, Risiken früh zu erkennen, Versorgungsunterbrechungen zu vermeiden und dabei gleichzeitig der Verursachung von Kosten durch eine schlechte Lieferanten-Performance vorzubeugen. Letztlich ist nicht die Frage, ob vor allem KMU für die Lieferantenbewertung die nötigen Ressourcen haben, sondern wie gut sie ihr SRM organisieren.
Lieferantenbewertungen sind durch die DIN EN ISO 9001 indirekt vorgegeben, die Kriterien dafür in der Norm jedoch nicht fixiert. Den Umfang legt jedes Unternehmen selbst fest. Wie würden Sie vorgehen?
Mit Blick auf die seit Herbst 2015 geltende Norm ISO 9001:2015 zur Lieferantenbewertung gibt es keine genauen Vorgaben, wie diese auszusehen hat. Vor allem für kleine und mittelständische Betriebe kann daher eine einfache Einteilung der Lieferanten durchaus ausreichen.
Unternehmen, die eine große Anzahl von Lieferanten verwalten und bewerten müssen, sollten bei ihrer Bewertung ausreichend Zeit einplanen. Zunächst sollte die Frage geklärt werden, welche Lieferanten entscheidend für den Produktionsprozess sind. Der Einkauf muss sich auch überlegen, welche Kriterien für den Lieferprozess die entscheidenden sind. Ebenfalls zu klären ist die spätere Klassifizierung der Kriterien. Der BME bietet zum Thema Lieferantenbewertungen seit Jahren zahlreiche Informationsangebote in Form von Publikationen und Veranstaltungen an.
Welche Rolle spielt die IT bei der Lieferantenbewertung?
Die Lieferantenbewertung durch den Unternehmenseinkauf wird ohne ein möglichst einfach zu bedienendes IT-System nicht erfolgreich sein. Der IT-Markt bietet mittlerweile zahlreiche Software-Lösungen an, um alle mit der Lieferantenbewertung im Zusammenhang stehenden Daten elektronisch verwalten zu können, etwa die Bewertungsergebnisse oder das Einhalten von Lieferterminen durch den Supplier. Auch zu diesem Thema bietet der BME zahlreiche Publikationen und Veranstaltungen wie beispielsweise die eLÖSUNGSTAGE an, die im März 2019 zum bereits zehnten Mal in Düsseldorf stattfinden.
Wie geht man präventiv vor und welche Frühwarnsysteme gibt es?
Eine wichtige Hilfe, um möglichen Fehlentwicklungen im Umgang mit Lieferanten entgegenwirken zu können, sind die vom BME herausgegebenen „Top-Kennzahlen im Einkauf“. Damit lassen sich Potenziale identifizieren, Strategien entwickeln und die Qualität der eigenen Organisation bewerten. Damit nicht genug: Im Rahmen des Risikomanagements des Einkaufs wird auch das Lieferantenportfolio auf mögliche Störfelder untersucht.
Sie bieten beim BME regelmäßig Seminare zum Thema Risikobewertung von Lieferanten an? Wann finden die nächsten Seminare statt?
Am 1. und 2. April 2019 findet in Frankfurt ein Seminar zum Thema „Risikobewertung Lieferant“ statt. „Effizientes Lieferantenmanagement in der Praxis“ heißt ein weiteres Seminar, das wir am 22. und 23. Januar 2019 in Frankfurt durchführen. Die Liste der Veranstaltungen zum Thema „Lieferantenbewertung“ und „Lieferantenmanagement“ lässt sich beliebig fortsetzen. Einen vollständigen Überblick bietet der Bereich „Veranstaltungen“ auf unserer Homepage www.bme.de, der über eine feingliedrige Suchfunktion verfügt.
Vielen Dank für das Interview!