Herr Land, Sie bezeichnen sich als „Digitaler Darwinist“. Können Sie kurz schildern, was sich hinter dem Begriff verbirgt?
Karl-Heinz Land: Natürlich leitet sich dieser Begriff von der Evolutionstheorie von Charles Darwin ab. Es gibt die digitale Evolution und auch hier gilt: „Survival of the Fittest“. Entweder man passt sich an oder man wird untergehen. Digitale Transformation ist keine Option, sondern ein Muss!
Wie können Firmen mit digitalen Prozessen und Automatisierung ihren Einkauf optimieren?
Durch die Vernetzung von Daten können qualifiziertere Entscheidungen getroffen werden. Denn das Ziel ist immer, Materialien stets zum niedrigsten Preis und mit höchster Qualität zu beschaffen. Digitale Prozesse und Automatisierung haben den Vorteil der maximalen Reaktionsgeschwindigkeit. Zusätzlich werden dadurch alle vorhandenen Daten vernetzt und optimal genutzt, was ebenfalls zu einer Effizienzsteigerung innerhalb der Lieferkette führt. Die Herausforderung ist, mit den Daten richtig umzugehen, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern.
Gibt es schon konkrete Beispiele – wie kann man sich digitalisierten Einkauf vorstellen?
Alles dreht sich um die Vernetzung von Daten und das sogenannte „Internet of Things“. Im Lebensmittelhandel haben intelligente Verpackungen schon längst Einzug gehalten. Dabei werden RFID Chips auf Produkte aufgedruckt, die zum Beispiel registrieren, ob die Kühlkette unterbrochen wurde. Oder: In einem modernen Airbus A380 sind 220.000 Sensoren verbaut, die erkennen, welche Bauteile gewartet oder ausgetauscht werden müssen, und das dann direkt melden. Das nennt man dann Predictive Maintenance. Damit ist gemeint, dass Überwachung und Wartung von Prozessen, Maschinen und Anlagen automatisch geplant werden.
Dadurch lässt sich auch in der Beschaffung viel automatisieren. Ein Beispiel: Beim Einkauf von Rohstoffen ist es interessant, wie sich die Preise entwickeln. Sicherlich kann man auch im traditionellen Einkauf ein paar Prozent aushandeln. Aber wirklich spannend ist es doch, wenn man Preisschwankungen von 20, 30 oder 50 Prozent vorhersehen kann. Mit diesem Wissen lässt sich der richtige Zeitpunkt für einen Kauf viel genauer bestimmen. Das nennt man Predictive Analytics, also vorhersehbare Analyse.
Wie viel Digitalisierung und Automatisierung ist im gesamten Lieferprozess vorstellbar?
Das lässt sich mit drei Kernthesen beantworten. Die erste These: Alles, was sich digitalisieren lässt, wird auch digitalisiert werden. Zweite These: Alles, was sich vernetzen lässt, wird auch vernetzt werden. Und die dritte: Wenn es digitalisiert und vernetzt ist, dann kann es auch automatisiert werden. Das gilt natürlich auch für den Einkauf – und den ganzen Beschaffungsprozess. Es wird immer von der Industrie 4.0 gesprochen, aber ich sage, wir müssen von der Wirtschaft 4.0 sprechen. Denn Industrie ist ja nur ein kleiner Bestandteil davon. Davor kommt der Einkauf von Rohstoffen, die Logistik, die Vorlieferanten – erst dann fängt die Produktion an.
Menschen sollten nicht mit Computern konkurrieren, sondern ihre eigenen Stärken, und zwar die Sozial- und Methodenkompetenzen, weiterentwickeln.
Können Maschinen Preise aushandeln oder Qualität prüfen? Welche Rolle spielt der Mensch im digitalen Procurement?
Ja, die Maschine kann das – und zwar besser als der Mensch. Wir gehen auf ein Zeitalter der Algorithmen zu. Das Internet der Dinge ist nichts anderes. Daten sagen dem Menschen schon heute, was zu tun ist. Nach und nach werden viele Tätigkeiten in der gesamten Lieferkette rauskürzbar sein. Denken wir doch beispielsweise an die autonomen Lkws, die die Logistikindustrie komplett umkrempeln. Die Dinge ändern sich sehr schnell und sehr radikal. In 15 bis 20 Jahren wird die Hälfte der Arbeit automatisiert werden. Der Mensch wird dann wahrscheinlich die Rolle des ausführenden und überwachenden Organs innerhalb einer Arbeitsorganisation spielen. Insgesamt wird der Mensch im digitalen Procurement durch Maschinen entlastet. Dadurch bieten sich ihm auch neue Freiräume, wie etwa für mehr Kreativität zum Entwickeln neuer Ideen.
Wenn Vernetzung und Automatisierung die Prozesse im Einkauf verändern, welche Rolle spielt dann der persönliche Kontakt?
Wir müssen jetzt erkennen, dass sich vieles dramatisch ändern wird, und uns die Frage stellen: Welche Art von Jobs kann der Mensch besser als ein Computer? Wenn die kognitive Leistungsfähigkeit von Computern so hoch wird, dass sie uns noch mehr Arbeit abnehmen können, dann ist das doch etwas Positives. Der Computer wird in Zukunft die Antworten geben. Der Mensch wird dazu da sein, die Fragen zu stellen. Das heißt, es wird eine neue Verteilung geben.
Menschen sollten nicht mit Computern konkurrieren, sondern ihre eigenen Stärken, und zwar die Sozial- und Methodenkompetenzen, weiterentwickeln. Denn der persönliche Kontakt funktioniert nicht zwischen Mensch und Maschine, sondern nur unter Menschen. Auch in Zeiten von Vernetzung und Automatisierung ändert sich das nicht.
Welche Herausforderungen muss ein moderner Einkäufer bewältigen?
Es wird immer wichtiger, Trends und Daten zu analysieren und im Unternehmen transparent zu machen. Wettbewerbsvorteile hängen von erfolgreicher Digitalisierung und Vernetzung ab. Der Beruf des Einkäufers wird sich zu dem eines strategischen Disponenten wandeln. Seine primäre Aufgabe besteht darin, die weitestgehend automatisierte Materialdisposition im Hintergrund zu managen und im Fall von besonderen bzw. unvorhersehbaren Ereignissen in den Prozess einzugreifen. Manuelle Eingriffe wird und muss es auch weiterhin geben. Ein moderner Einkäufer muss stets den Gesamtkontext im Blick halten.
Welchen Stellenwert nimmt Einkauf 4.0 in der Digitalisierung der Wirtschaft ein?
Der ganze Beschaffungsprozess wird automatisiert, aber der Mensch wird noch kontrollieren. Der Einkäufer muss sich mehr mit Daten auseinandersetzen. Dazu braucht man zunächst fundierte Daten, aus denen qualitative Entscheidungen getroffen werden. Der Computer liefert diese – der Mensch wird die Aufgabe haben, damit sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Wir reden über Network Economy. Dabei handelt es sich um eine Wirtschaftsstruktur, bei der Netzwerke die entscheidende Rolle spielen. Denn digital heißt auch vernetzt und transparent. Der Einkauf 4.0 steht in diesem Kontext und kann und soll nicht mehr herausgenommen werden.
Können Sie ein Fazit ziehen? Wird der Einkäufer zum Datenanalysten?
In der modernen industriellen Produktion wurde die menschliche Arbeitskraft fortwährend durch Automatisierung ersetzt. Mit der Digitalisierung beschleunigt sich dieser Prozess noch einmal und erfasst auch Bereiche, in denen Automatisierung bisher kaum denkbar war. Auch das Procurement und die Lieferkette sind davon betroffen. Um dieser Entwicklung standzuhalten, müssen Industrieunternehmen ihr Geschäftsmodell digitalisieren. Für die Firmen bedeutet das, ihren kompletten Wertschöpfungsprozess statistisch zu erfassen und die gesammelten Daten laufend auszuwerten. Einkäufern könnte dabei eine Schlüsselrolle zukommen. Karl-Heinz Land prognostiziert, dass Procurement in Zukunft vor allem in der Analyse und strategischen Auswertung von Daten bestehen wird.
Herr Land, wir bedanken uns herzlich für dieses Interview.